Wie hat deine Leidenschaft für den Radsport begonnen, und wer oder was hat dich inspiriert, deine Karriere in diesem Sport zu verfolgen?
Ich bin mit 9 Jahren zum Radsport gekommen und mit 10 Jahren bin ich mein erstes Rennen gefahren (März/75, Eröffnungsrennen in Halle, Platz 17). Mein Vater war früher aktiver Radsportler und hat mir damals auch mein erstes Rennrad zusammengebaut. Er hat mich von Anfang an gefördert und auch gefordert.
Was bedeutet der Radsport für dich persönlich, nachdem du ihn dein ganzes Leben lang betrieben hast?
Ich kann mir ein Leben ohne Radfahren nicht mehr vorstellen. Es ist und bleibt meine Leidenschaft.
Wie hast du dich speziell auf die Weltmeisterschaft vorbereitet?
In 2020 wurde der Austragungsort der WM 2024 bekannt gegeben: Aarlborg/Dänemark. WM in Europa, Anreise mit KFZ möglich, eventuell flache Rennstrecke, Wechsel in neue AK in 2024. Deshalb erstreckte sich die die Vorbereitung mehr oder weniger über gut 4 Jahre. Es musste im Vorfeld ein Quali-Rennen ausgesucht und auch dieses vorbereitet werden. Da ca. 1 Jahr vor der WM die Strecke veröffentlicht wurde, war auch klar, dass der Kurs nicht flach sondern doch wellig und technisch anspruchsvoll wird. Ein echter Klassikerkurs.
Gab es besondere Herausforderungen im Training bzw in der Saison?
Die Saison 2024 sollte ganz besonders erfolgreich für mich werden. Bei der Deutschen Meisterschaft sollte eine Medaille her und die Weltmeisterschaft wollte ich mindestens unter den Top Ten abschließen. Um diese Ziele zu erreichen, wollte ich neue Wege gehen, hatte erstmalig einen externen Trainer engagiert und ging bereits im Januar 2024 nach Nordafrika in ein erstes Trainingslager. Ein weiteres Trainingslager folgte dann Ende Februar in Spanien. Ende März ging ich dann nach Zypern, um dort den Gran Fondo als Qualifikation für die WM zu fahren. Zuvor konnte ich noch das Eröffnungsrennen in Herford gewinnen, bevor ich dann auf Zypern auf einem extrem schweren und bergigen Kurs auch den Gran Fondo gewann und damit die Quali für die WM auch in der Tasche hatte. Die anschließenden Rennen in Deutschland verliefen dann nicht ganz optimal. Lediglich ein paar Podiumsplätze konnte ich noch einfahren, jedoch war die Form nicht mehr so, wie erhofft. Die Vorbereitung auf die DM Ende Juni in Görlitz war ernüchternd. Die Formkurve zeigte mehr und mehr nach unten. Damit verschlechterte sich auch mein psychischer Zustand. Den absoluten Tiefpunkt erlebte ich dann zu Deutschen Meisterschaft. Völlig motivationslos, ohne Kraft, Willen, Ehrgeiz und Moral ging ich ins Rennen. Bereits nach 17km war das Meisterschaftsrennen auch schon für mich beendet. Abgehangen, chancenlos und ein Materialdefekt führten letztendlich zum DNF.
Nach der DM musste ich mich entscheiden. Entweder ich zerschneide meine Lizenz und fahre keine Rennen mehr oder ich bereite mich über die nächsten 8 Wochen zielstrebig auf die WM vor. Zunächst habe ich die Trainingsplanung wieder selbst übernommen. Sämtliche Radrennen bis zur WM dienten ausschließlich der Vorbereitung. Teilweise habe ich eine komplette Trainingseinheit vor einem und unmittelbar nach einem Rennen absolviert. Wettkampfergebnisse und Platzierungen waren zweitrangig. Immer hatte ich das Ziel vor Augen. Mit den Wochen kam die Form zurück, die Leistungswerte näherten sich den bisherigen Bestwerten und vor allem war der Spaß am Training wieder vorhanden. Mit großer Vorfreude auf das WM-Rennen reiste ich dann 1 Woche vorher mit meiner Frau nach Aarlborg. Dort nutzte ich die Tage vor der WM zum Training und Besichtigung des Kurses. Mit jedem Tag merkte ich, wie sich die Form noch weiter verbesserte und so langsam beschäftigte ich mich mit einer neuen Zielstellung. Wenn Top Ten eventuell möglich ist, warum dann nicht auch Top Five? Wenn es optimal läuft, könnte dann auch eine Medaille möglich sein?
Kannst du uns durch die entscheidenden Momente des Rennens führen, insbesondere durch deinen entscheidende Moment vor der Zielgeraden?
Wettkampftag, 09:40 Uhr Start, 115km, ca 1000HM, allein in meiner AK ca 190 Starter,
Als Gran Fondo-Sieger durfte ich aus Startreihe 1 das Rennen aufnehmen. Vom ersten km wurde ein straffes Tempo gefahren, geprägt von dauernden Attacken und Ausreißversuchen. An sämtliche Anstiegen konnte eine Vorentscheidung fallen. Geprägt war das Rennen auch von Kantenwind und etlichen Passagen durch kleine Ortschaften. Um Ausreißergruppen nicht zu verpassen und die Sturzgefahr zu minimieren, hielt ich mich stets im vorderen Teil des Feldes auf. Den schwersten und längsten Anstieg mit Steigung bis 17% bei km 70 hatte ich schadlos überstanden. Ab diesem Punkt im Rennen war mir klar, dass ich ganz vorn landen kann.
Die letzten 10km führten dann in Aarlborg auf überwiegend flachem Terrain sehr kurvenreich Richtung Ziel. Die Kopfgruppe, in der ich mich noch befand, bestand noch aus 52 Fahrern und es war ziemlich klar, dass es zu einer Sprintentscheidung aus einer größeren Gruppe um den WM-Titel gehen wird. Die letzten 5km waren brutal schnell und extrem hektisch. Die Positionskämpfe wurden mit aller Konsequenz geführt und man musste aufpassen, dass man weder den Überblick noch die Position verliert.
Am Teufelslappen (1000m vor Ziel) brachte ich mich dann mit einem Antritt auf die gewünschte Position im Sprintzug. Von ca. Position 5/6 ging ich dann mit einem weiteren Antritt bei 500m vor Ziel auf Position 3. Bis zur Zielkurve bei 150m vor Ziel gelang es mir noch, direkt an das Hinterrad des Führenden zu gelangen. An Position 2 ging es dann in die Zielkurve. Ein Traum für jeden Straßensprinter. Besser kann man den finalen Sprint nicht vorbereiten. An dieser Stelle hatte ich „die Hand schon am Regenbogentrikot“.
Mit über 50km/h bogen wir in die Zielkurve ein.
Wie hast du den Moment erlebt, als du abgedrängt wurdest?
Ein Belgier, der einige Positionen hinter mir in die Kurve einbog, und abseits jeglicher Fairness und physikalischer Gesetze und wahrscheinlich auch mit geschlossenen Augen knallte mir direkt in die rechte Seite. Dabei verlor ich die Kontrolle und sah mich im nächsten Moment in den Absperrgittern. Die dahinterstehenden Zuschauer verhinderten Schlimmeres, indem sie Absperrgitter und mich etwas abfingen. Bevor ich jedoch wieder in der Senkrechten war, hatten mich alle weiteren 51 Fahrer der Gruppe passiert. Mit ein paar Sekunden Rückstand und abgesprungener Kette rollte ich dann als 52.-er völlig schockiert und deprimiert über die Ziellinie.
Was ging dir durch den Kopf?
Ich konnte es absolut nicht fassen, dass innerhalb eines Augenblickes die Chance auf Medaille oder gar WM-Titel dahin war. Zumal ich alles richtig und der Belgier eigentlich alles falsch gemacht hat. So ganz genau wusste ich zu dieser Zeit noch gar nicht, was eigentlich wirklich passiert war. Erst als ich später Videos und Bilder von der Zielanfahrt gesehen habe, wurde es auch deutlich, dass die alleinige Schuld beim Belgier lag, der sich durch diese unfaire Fahrweise und reichlich Glück am Ende noch die Silbermedaille sicherte.
Wahrscheinlich wird es für mich diese Chance bei einer WM nicht mehr geben. Es hat eben an diesem Tag alles gepasst, bis 150m vor Ziel.
Gab es nach dem Rennen eine Aussprache oder Reaktion seitens der Rennleitung oder des Fahrers, der dich abgedrängt hat?
Da die Jury diesen Vorfall nicht beobachten konnte, gab es auch keinerlei Sanktionen oder Strafen. Einige Tage nach dem Rennen hatte ich versucht, zum Belgier über Facebook Kontakt aufzunehmen. Es gab aber keine Reaktion
Wie hat diese Erfahrung deine Sicht auf Fairness und Wettbewerb im Radsport beeinflusst?
Im Radsport passieren Stürze. Das ist nicht zu ändern. Oft genug hat es mich erwischt. Auch schwere Stürze habe ich hinter mir. Unverständlich bleibt mir jedoch, wie man seine eigene Gesundheit und die der anderen Rennfahrer so bewusst auf’s Spiel setzt. Wir leben nicht vom Sport. Wir sind Ehemänner, Familienväter, Arbeiter, Angestellte oder Selbständige Unternehmer und haben im Leben alle Verantwortung zu tragen. Ich gehe beim Radrennen und besonders auch im Finale oft und gern mal ein gewisse Risiko ein, aber immer öfter ziehe ich dann auch die Bremsen, wenn das Risiko den Menschenverstand übersteigt.
Wie gehst du mit Enttäuschungen und Rückschlägen um, und welche Strategien nutzt du, um motiviert zu bleiben?
Enttäuschungen und Rückschläge gehören zum Sport genauso dazu, wie Siege und Erfolge. Beides muss man gut verarbeiten können. Mein Ziel, meine Motivation und vielleicht auch mein nie erfüllbarer Traum ist und bleibt es, ein Jahr mal ein weißes Trikot mit den entsprechenden Brustringen tragen zu dürfen.
Was war das schönste oder stolzeste Erlebnis deiner Karriere? Gibt es Momente, die dich bis heute besonders inspirieren?
Mein größtes sportliches Erlebnis war der UltraMan auf Hawaii 1999. Der hat mir gezeigt, wozu mein Körper in der Lage ist, wenn man sich physisch und mental langfristig und gezielt vorbereitet.
Wie blickst du nach diesem Vorfall auf deine Zukunft im Radsport?
In meinem Alter ist es immer schwieriger langfristig zu planen. Dennoch kann ich mir vorstellen, auch in 3, 4 oder 5 Jahren nochmal mich auf eine Amateur-WM vorzubereiten. Davon abgesehen gibt es auch jedes Jahr Deutsche Meisterschaften und jede Menge hochkarätige und große Radsportevents zu bestreiten
Gibt es konkrete Ziele, auf die du hinarbeitest?
Nächste Saison wird wieder und zum letzten Mal die Deutschen Meisterschaften in Görlitz ausgetragen. Das wird auf jeden Fall der Saisonhöhepunkt.
Was möchtest du jungen, aufstrebenden Radsportlern mitgeben, die von einer erfolgreichen Karriere träumen?
Wenn man besser sein will, als die anderen, muss man mehr machen, als die anderen. Sollte man dazu nicht gewillt sein, braucht man auch nicht von einer großen Karriere zu träumen. Das sollte den jungen Rennfahrern bewusst sein.
Gibt es ein persönliches Lebensmotto oder eine Philosophie, die dir im Laufe deiner Karriere geholfen hat, Höhen und Tiefen zu meistern?
Ich habe in meinem Sport- und Trainingsraum ein großes Plakat hängen mit der Aufschrift: „Hör nicht auf, wenn es weh tut. Hör auf, wenn du fertig bist.“
Und ich bin noch nicht fertig.
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